ZEITmagazin: Frau Uhl, Sie haben in gesellschaftskritischen Filmen wie Der Baader Meinhof Komplex und Operation Zucker mitgewirkt. Welche Rolle spielte die Politik in Ihrer Familie in der DDR?

Nadja Uhl: Meine Familie, die mir viel Geborgenheit gab, fing erst spät in den achtziger Jahren an, sich an den politischen Umständen zu reiben. Konstruktive Kritik war gesellschaftlich nicht erwünscht, und Andersdenkende wurden immer häufiger, mit allen Konsequenzen, diffamiert. Bis dahin hatte ich eine unbeschwerte Kindheit. Wenn die elektrische Kaffeemühle meiner Großmutter anging, um Bohnenkaffee zu mahlen, wusste ich, jetzt wird es gemütlich, und lauschte den Erwachsenen. Später, als mein Onkel in Bautzen inhaftiert wurde, haben sich die Themen verändert. Es wurde ernster und zum ersten Mal systemkritisch diskutiert.

ZEITmagazin: Warum wurde er festgenommen?

Uhl: Aufgrund von Umweltaktivitäten, die in der DDR damals nicht willkommen waren. Viele normale Leute haben etwas riskiert. Sie taten nichts Verwerfliches, sie haben lediglich Missstände benannt. Das allein wurde schon als Angriff auf das System gesehen. Die Familie hat in dieser schwierigen Zeit zusammengehalten. Es war wichtig, die Nerven zu behalten, weiter friedlich und liebevoll miteinander umzugehen.

ZEITmagazin: Wie prägend war diese Zeit?

Uhl: Die Wurzeln, die mir familiär mitgegeben wurden, haben mich im Leben wirklich gerettet. Sie haben mir den Mut gegeben, vermeintlich populäre Dinge infrage zu stellen, auch mal anders zu denken. Im Staatsbürgerkunde-Unterricht schrieb ich, dass der Kommunismus eine schöne, aber unrealistische Utopie ist. Schon Goethe wusste mit seinem Faust, dass zur menschlichen Natur eben immer zwei Seiten gehören. Mir schien, dass die Idee vom Kommunismus die andere Seite des Menschen, das Dunkle, das Verführbare, total ignorierte. Meine Mutter musste zur Aussprache in die Schule. Zu Hause hat sie gelächelt und gesagt: "Lass dir nicht vorschreiben, was du denken musst."

ZEITmagazin: Wie ausgeprägt ist Ihr Heimatgefühl?

Uhl: Ich sehe heute unser Leben in der DDR differenzierter als noch vor zwei, drei Jahren. Ich werte die soziale Gerechtigkeit anders, das Gemeinschaftsgefühl trotz des politischen Drucks, die andere Gewichtung von Haben und Sein. In der DDR wurde auch oft anders geredet als gedacht. Daraus entstand eine gewisse Selbstironie, die unseren Alltag begleitete. Wir sind als Kinder mit einer großen Heimatliebe aufgewachsen. Ich glaube, der Begriff wurde neu besetzt. Wir waren nach unseren Klassenfahrten nach Buchenwald oder Sachsenhausen glühende Antifaschisten, hörten auf den Fahnenappellen den Song Hiroshima und die Worte der Direktorin, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf. Es gab jedoch Zwänge, die ließen Menschen zerbrechen. Dieses Erwachen war für junge Menschen, die sich ehrlich gesellschaftlich engagieren wollten, bitter. Die Politik wollte Jasager. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, wann das ganze System implodiert. Ich habe gelernt: Auch wenn man als Familie einen hohen Preis zahlt, kann es im Leben einen Punkt geben, an dem man sich entscheiden muss, wo man hingehört.

ZEITmagazin: Gab es bei Ihnen einen solchen Punkt?

Uhl: Nein, zum Glück nicht. Man muss kein Revoluzzer sein, um im Leben wahrhaftig zu sein. Man muss wach sein, den Mut haben, selbst zu denken, und nicht alles hinnehmen. Das ist nach wie vor ein Thema in meinem Leben, und ich versuche, es auch in meinen Filmen zu leben. Ich bin sehr glücklich, dass ich in der Lage bin, unterschiedliche Rollen und Positionen einzunehmen.

ZEITmagazin: Wie zeitgemäß sind für Sie Begriffe wie Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit?

Uhl: Sie sind zeitlos. Die Familie meiner Kindheit hätte sich wohl nie als politisch bezeichnet. Wir haben nicht als intellektuelle Boheme-Familie vor unserem Wandregal voller Bücher gesessen und Remarque diskutiert. Es war alles einfacher. Man konnte die politischen Lügen und Repressalien vielleicht einfach nicht mehr ertragen. Ich liebe meine Wurzeln, ich liebe auch meine Heimat, die DDR, trotz allem, was mit meiner Familie passiert ist. Aufzubegehren war eine logische Konsequenz aus Heimatliebe und aus gesundem Menschenverstand, und das wurde mit unverhältnismäßigen, diktatorischen Mitteln zu brechen versucht. Es ist eine Charakterfrage, aufzubegehren und zu sagen, ich habe Gutes im Sinn, und zum Bösen will man sich nicht gesellen.

Das Gespräch führte Louis Lewitan. Er ist Psychologe und gehört neben der Fotografin Herlinde Koelbl, Evelyn Finger, Anna Kemper und Ijoma Mangold zu den Interviewern unserer Gesprächsreihe