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Literatur „Millenium“-Krimi

„Verschwörung“ soll Stieg Larssons Erbe antreten

Redakteur Feuilleton
Lebte im Netz: Noomi Rapace verdankt ihre Weltkarriere den drei schwedischen Larsson-Verfilmungen, in denen sie Lisbeth Salander war Lebte im Netz: Noomi Rapace verdankt ihre Weltkarriere den drei schwedischen Larsson-Verfilmungen, in denen sie Lisbeth Salander war
Lebte im Netz: Noomi Rapace verdankt ihre Weltkarriere den drei schwedischen Larsson-Verfilmungen, in denen sie Lisbeth Salander war
Quelle: picture alliance / Mary Evans Pi
Stieg Larssons „Millenium“ ist die erfolgreichste Krimiserie der Welt. Seit Larssons Tod erschwerte ein Erbstreit jede Fortsetzung. Nun folgt endlich „Verschwörung“, geschrieben von David Lagercrantz.

Das unzweifelhaft größte literarische Verbrechen dieses Jahres wird sich am kommenden Donnerstag ereignen. Es handelt sich – jedenfalls nach Meinung einer nicht unbeträchtlichen und internationalen Menge von Literaturscharfrichtern – um einen Fall von Vampirismus, in Verbindung mit Grabschändung und verschärfter Geldschneiderei. Und der Täter steht schon seit ungefähr zwei Jahren fest.

Am kommenden Donnerstag erscheint gleichzeitig in 27 Ländern weltweit und in einer Auflage von mehreren Millionen Exemplaren die Fortsetzung der bis auf Weiteres für immer erfolgreichsten Krimiserie des 21.Jahrhunderts, Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie – ein Jahr nach Larssons Tod 2005 gestartet, mehrfach verfilmt, Weltgesamtauflage 82 Millionen Exemplare und damit ungefähr das Dreifache aller Werke Henning Mankells, Gesamtumsatz geschätzt um die 400 Millionen Euro.

Viele Fans waren dagegen, aber er hat Lisbeth Salander wiederbelebt – der schwedische Autor David Lagercrantz. Berühmt wurde er mit seiner Autobiografie des Fußballers Zlatan Ibrahimovic
Viele Fans waren dagegen, aber er hat Lisbeth Salander wiederbelebt – der schwedische Autor David Lagercrantz. Berühmt wurde er mit seiner Autobiografie des Fußballers Zlatan Ibrah...imovic
Quelle: picture alliance / IBL Schweden

„The Girl in the Spider’s Web“ heißt der vierte Fall von Lisbeth Salander und Mikael „Kalle“ Blomkvist im Englischen, „Verschwörung“ im Deutschen. Der Täter heißt David Lagercrantz. Larssons Erben (sein Bruder und sein Vater) und Larssons schwedischer Verlag erkoren ihn zum Saga-Fortsetzer, seit zwei Jahren musste er über die Salanderei schweigen und in seiner schönen Wohnung im ehemaligen Stockholmer Arbeiterviertel Södermalm, wo sich auch Larssons 53-Quadratmeter-Wohnung befand, an einem nicht hackbaren Computer ohne Internetanschluss an ihr arbeiten.

Lagercrantz ist 52 Jahre alt, als Abkömmling einer der führenden schwedischen Familien so ziemlich das exakte Gegenteil des im nordschwedischen Umea geborenen Arbeitersohns Larsson. Sein Vater war lange Jahre Chefredakteur von Schwedens wichtigster Tageszeitung. Der gelernte Infografiker Larsson arbeitete für das linke Magazin „Expo“.

Für die Tätigkeit als Reanimator der anarchistischsten Ermittlerin aller Zeiten hat sich Lagercrantz außer durch mehrere Jahre als Polizeireporter vor allem dadurch qualifiziert, dass er einem anderen, gepiercten und beinahe ganzkörpertatowierten Abkömmling der schwedischen Unterschicht seine Stimme lieh. Lagercrantz hat den autobiografischen Lebensroman des Fußballers Zlatan Ibrahimovic derart grandios aufgeschrieben, dass selbst hochgradige Fußballphobiker ganz besoffen davon waren.

Es hat ihn also niemand – vor allem nicht Geldgier – dazu gezwungen, sich unbeliebt zu machen. Dass das passieren würde, dass er Hohn und Spott und Beleidigungen über sich würde ergehen lassen müssen, bevor auch nur eine Zeile von „Verschwörung“ zu lesen war, war Lagercrantz von vornherein klar. Zu eindeutig waren die Sympathien verteilt im weltöffentlich ausgetragenen Erbfolgekrieg, der Salander IV voranging.

Lebte ziemlich ungesund: Stieg Larsson trank zu viel Kaffee, rauchte zu viel Zigaretten, schlief zu wenig. Die drei „Millennium“-Bände hatte er gerade im Verlag abgegeben, als das Herz des manischen Arbeiters streikte
Lebte ziemlich ungesund: Stieg Larsson trank zu viel Kaffee, rauchte zu viel Zigaretten, schlief zu wenig. Die drei „Millennium“-Bände hatte er gerade im Verlag abgegeben, als das ...Herz des manischen Arbeiters streikte
Quelle: picture-alliance/ dpa

Schuld daran waren Zigaretten, Schlaflosigkeit, ein streikender Aufzug und 197 Treppenstufen. Die war Stieg Larsson am 8.November 2004 in die Redaktion seines linken Magazins „Expo“ hinaufgelaufen, bevor er an einem Herzinfarkt starb. 50 Jahre war Larsson gerade alt und hatte die ersten drei von zehn geplanten Teilen seiner Salander-Serie (zweitausend Seiten, die in zwei Jahren geradezu aus ihm herausgeplatzt sein müssen) im Verlag abgegeben.

Altersvorsorge hatte er die Romane genannt, für sich und seine Lebensgefährtin Eva Gabrielsson. 32 Jahre waren sie zusammen. Geheiratet hatten sie nie, einen Vertrag abgeschlossen auch nicht. Weil aber die Erbgesetze in Schweden so unemanzipiert sind, wie sie sind, und Blut für sie dicker ist als Liebe, fielen alle Rechte am Werk (und sogar die Hälfte der Södermalm-Wohnung) an Larssons Vater und Bruder.

Lebte 32 Jahre lang mit Stieg Larsson zusammen: Die Journalistin Eva Gabrielsson hatte vom posthumen Welterfolg ihres Lebensgefährten so ziemlich gar nichts
Lebte 32 Jahre lang mit Stieg Larsson zusammen: Die Journalistin Eva Gabrielsson hatte vom posthumen Welterfolg ihres Lebensgefährten so ziemlich gar nichts
Quelle: Getty Images

Und Eva Gabrielsson blieb zwar mit einiger Wahrscheinlichkeit der Laptop mit gerüchteweise 200 geschriebenen Seiten von „Die Rache der Götter“, Larssons viertem Salander-Fall. Sie durfte sie aber nicht verwerten, auch nicht fortschreiben. Sonst blieb ihr beinahe nichts. Lange lebte sie von Arbeitslosenhilfe. Einigungen mit den Larssons scheiterten – jeweils von großem öffentlichen Getöse begleitet – an beiderseitiger Dickköpfigkeit und – so vermuten viele – an der Raffiniertheit der larssonschen Anwälte.

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Die Wiederbelebung der Lisbeth Salander hat Gabrielsson (unterstützt von fast allen Larsson-Enthusiasten) beinahe naturgemäß vehement abgelehnt, dem Verlag vorgeworfen, damit bloß die angegriffenen Bilanzen ausgleichen zu wollen. Lagercrantz bezeichnete sie als „Mietling“. Die Larssons wiederum beeilten sich zu bekräftigen, dass „Verschwörung“ eine einmalige Gedenkarbeit zu zehn Jahren „Millennium“ sei und die Einnahmen einer Stiftung für linke Projekte zugutekämen.

Dickens wäre rot geworden, so viele Zufälle

Darüber, wie es Larssons Trilogie abgesehen von den tragischen Umständen ihrer Veröffentlichung überhaupt so weit bringen konnte, wird seit dem Beginn der „Millennium“-Hysterie gestritten. Ein großer Stilist war Larsson nämlich nicht. Der Chef der Nachrichtenagentur, in der er lange arbeitete und Grafiken zu Texten entwarf, hatte ihn nichts schreiben lassen, weil das wohl nicht sein Ding war.

Es gibt logische Brüche, offene Stellen in den Geschichten. Die noch dazu – so ein amerikanischer Kritiker – „so vollgepackt sind mit Zufällen, dass selbst Dickens rot würde“.

Larssons Trilogie erschien allerdings zur rechten Zeit. Auf dem Gipfelpunkt des Schwedenbooms in der Kriminalliteratur. Und alle wollten noch einmal in den Abgrund des fadenscheinigen schwedischen Wohlfahrtsstaats blicken. Das hatten sie zwar seit Sjöwall/Wahlöös Pionierkrimis von Ende der Sechziger immer wieder getan. So böse und wütend und wüst wie Larsson hatte es aber noch niemand aufgeschrieben.

Vor allem hatte Larsson, eigentlich ein altlinker Macho, eine Figur zusammenfantasiert, die neu war und widerständisch. Sozusagen Pippi Langstrumpf in der Thrillerwelt. Eine Figur am Rande des Gesetzes, an der alle Anteil nahmen, eine Bisexuelle ohne Moral. Lisbeth Salander.

Lisbeth Salander hat viele Nachfolgerinnen gefunden

Zehn Jahre später ist der Schwedenboom vorbei. Und die Krimilandschaft wimmelt von Kindern, fast schon Enkeln der Lisbeth Salander. Frauen, die Rache nehmen, Frauen im moralischen Zwielicht, literarische Frontfrauen, die es ohne Lisbeth nicht gegeben hätte, die Lisbeth aber auch nicht mehr brauchen.

So wird „Verschwörung“ – dieses Hochsicherheitsprodukt der Literatur, entstanden, übersetzt, verlegt in höchster Geheimhaltungsstufe – mit Sicherheit besser geschrieben sein als alle bisherigen Salanders und besser geplottet. Es wird nicht so schwitzen vor Agitprop, nicht so voller Klischees stecken, und lektoriert wird es hoffentlich auch sein.

Es wird überflüssig sein. Wie jedes Verbrechen.

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