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Stieg Larsson – der Heath Ledger der Krimi-Autoren

Stieg Larsson Stieg Larsson
Fünf Jahre nach seinem Tod erfolgreich wie nie: Der schwedische Krimi-Autor Stieg Larsson
Quelle: picture-alliance/ dpa/Scanpix
Gestorben ist er wie eine seiner Romanfiguren: Herzinfarkt durch Überarbeitung. Fünf Jahre nach seinem Tod ist der schwedische Krimiromancier Stieg Larsson erfolgreich wie nie. Jetzt wurde seine "Millennium"-Triologie – "Verblendung", "Verdammnis", "Vergebung" –, die ihn weltberühmt machte, verfilmt.

So gigantisch fiel in jüngerer Vergangenheit nur der filmische Nachruhm des Schauspielers Heath Ledger aus. Der war durch das empfindsame Schwulen-Drama "Brokeback Mountain" zwar schon leidlich etabliert, avancierte aber erst posthum zu einer Ikone des Gegenwartskinos, als er ein halbes Jahr nach seinem Tablettentod im Januar 2008 als "Joker" in "Batman" zu sehen war. Seitdem wird dem Toten Preis um Preis zuerkannt, Ehre um Ehre zuteil.

So unermesslich fiel in allerjüngster Vergangenheit allenfalls die musikalische Marktwertsteigerung des Sängers Michael Jackson aus. Der war nach seinen Erfolgen in den Achtziger- und Neunzigerjahren zwar längst weg vom famosen Fenster, wird aber durch seinen Tod neuerlich zu einer kanonisierten, grenzhysterisch betrauerten, vor allem aber: einträglichen Größe.

Mourinho wittert neue Verschwörung Mit dem tragisch verspäteten Einzug des schwedischen Journalisten und Autors Stieg Larsson in die Halle des ewigen Ruhmes verhält es sich zumindest strukturell ähnlich. Als der manische Schreiber im November 2004, gerade mal 50-jährig, den Folgen eines Herzinfarkts erliegt, ist der erste Roman seiner ursprünglich auf zehn backsteingroße Folgen konzipierten "Millennium"-Trilogie noch nicht einmal in seiner Heimat veröffentlicht worden.

Mittlerweile ist Larsson europa-, ja, weltweit zu einem der meistgeachteten, meistprämierten und vor allem meistverkauften Autoren des Schuld-und-Sühne-Genres geworden: "Verblendung" (2006), "Verdammnis" (2007) und "Vergebung" (2008), in Deutschland allesamt im Heyne-Verlag erschienen, stürmten jeweils kurz nach ihrem Erscheinen die Spitze der Bestsellerlisten, und selbst die späteren Taschenbuchausgaben verkaufen sich wie geschnitten Smørrebrød.

Auf einer repräsentativen Liste mit globalen Beststellern rangierte Larsson unlängst hinter dem Esoteriker Khaled Hosseini und noch vor dem Thriller-Kollegen Ken Follett auf dem zweiten Platz; Tendenz: steigend. Zuletzt stieg Stieg Larssons "Vergebung", unfreiwilliger Schlussteil des verhinderten Dekalogs, hierzulande auf Rang drei in die Taschenbuch-Charts ein; zwischenzeitlich schoss er gar auf den ersten Platz; mittlerweile hat er sich hinter der unvermeidlichen Stephenie Meyer und ihrer kitschträchtigen Vampir-Saga "Bis(s) zur Mittagsstunde" auf einem komfortablen zweiten Platz eingerichtet.

Ein Untoter wie Meyers Blutsauger war der wie besessen auf Kippe und Kante arbeitende Larsson in mancherlei Hinsicht schon zu Lebzeiten. Wie ein Treppenwitz der Kriminalliteraturgeschichte erscheint es daher, dass Larsson die tragischen Umstände seines frühen Todes in dem gewissermaßen nachgelassenen Werk "Vergebung" denkbar genau und brutal antizipiert hatte. Darin wankt und schwankt der Chefredakteur einer renommierten schwedischen Tageszeitung an seinem Arbeitsplatz in der Redaktion, verdreht dann die Augen, um schließlich zu kollabieren.

Die Diagnose, plötzlicher Herztod, ist die nämliche wie 2004 im Falle des literarischen Visionärs in eigener Sache. Die Ursache mutmaßlich auch: Als auf politische Skandale abonnierter Enthüllungsjournalist arbeitete der Rechtsextremismusexperte Larsson täglich bis zur völligen körperlichen und geistigen Erschöpfung für das Antifa-Magazin "Expo", das er 1995 als Reaktion auf ein halbes Dutzend tödlicher Neonazi-Übergriffe im vermeintlich politisch ach so moderaten Schweden gegründet hatte.

Weil dem Workaholic sein mehr auf Fakten als auf Verschwörungstheorien getrimmter Aufdeckungsfuror bald nicht mehr genügen konnte, begann er mit dem Schreiben kriminalistischer Fiktionen. Es sind dies ausnahmslos rasante, äußerst gewalttätige und verhohlen moralische Thriller, die immer zu einem Gutteil im politischen Milieu angesiedelt sind.

Maliziöse Pamphlete in Literaturgestalt, in denen Stieg Larsson seinen nachgerade pathologischen Investigativwahn und seinen Ekel an der Realpolitik an den Journalisten Mikael Blomkvist delegiert, der - wie könnte es anders sein - einem Enthüllungsmagazin als Herausgeber und Chefreporter in Personalunion vorsteht; "Millennium" heißt das Blatt.

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Als Alter ego seines sendungsbewussten Erfinders muss die wegen ihrer chronischen Überlastung und ihres an einen Astrid-Lindgren-Kinderdetektiv gemahnenden Nachnamens bemitleidenswerte Romanfigur Menschenhandel und Korruption, Notzucht und Wirtschaftskriminalität, Zwangsprostitution und Amtsmissbrauch aufdecken. Unter anderem. Sex mag sich gut verkaufen; im Falle des von Aufrichtigkeit beseelten Aufklärers Larsson darf er das nur im Verbund mit politischen Akzenten. Denn der Mann räumte seiner Mission den Primat vor jeder Missionarsstellung ein.

Mit seinen Themen, die beharrlich um jene verheerende Leere kreisen, die der schwedische Abschied vom Sozialstaat hinterlassen hat, bekannte sich Larsson zur gesellschaftspolitisch brisantesten und folgenreichsten Literaturtradition seines Landes. Oft scheint es, als habe ihm der Geist des ähnlich massiv engagierten Krimi-Schriftstellerpaares Per Wahlöö (1926-1975) und Maj Sjöwall (geboren 1935) das Schreibwerkzeug geführt. Indizien für eine Affinität zu den beiden marxistisch inspirierten Sozialkritikern sind nicht nur inhaltliche Berührungspunkte wie die ständige Schmähung von Polizei und Berufspolitikern.

Auch in formaler Hinsicht scheint es, als habe Larsson das Erbe seiner Landsleute antreten wollen: Zehn eigenständige Teile umfasst der zwischen 1965 und 1975 "Roman über ein Verbrechen", mit dem Sjöwall/Wahlöö und ihr weltanschaulicher Agent, Kommissar Martin Beck, die moralische Verderbtheit der politischen Klasse in Schweden zu geißeln versuchen. Und zehn Tranchen statt nur drei Teile seines "Millennium"-Publikationsprojekts hätte Stieg Larsson gemäß verstiegenem Plan realisiert, wenn er nicht indirekt von seiner eigenen Obsession dahingerafft worden wäre.

Nun ist das unheimliche wie opulente Unsittengemälde des zeitgenössischen Schwedens zwar wegen Larssons frühem Tod kürzer ausgefallen als von ihm erhofft, aber dennoch so eindringlich geraten, dass es nachgerade nach Verfilmung schrie. Der Auftakt der Trilogie ist Anfang dieses Jahres bereits mit großem Erfolg in Skandinavien gezeigt worden; die Premiere der beiden weiteren Verfilmungen ist ebenfalls für 2009 angekündigt. Auch in Deutschland sollen die Filme noch in diesem Jahr zu sehen sein - und zwar im ZDF, das als Koproduzent des "Millennium"-Dreiteilers firmiert.

Heath Ledger spielt zwar nicht mit (und Michael Jackson liefert nicht den Soundtrack), dafür aber gestandene schwedische Mimen mit einem Faible für düstere Töne: Die Hauptdarsteller sind Michael Nyqvist (als Mikael Blomkvist) und Noomi Rapace-Norén in der Rolle seiner Ermittler-Partnerin Lisbeth Salander, die mit pikanten Piercings und einer bewährten Spürnase gesegnet ist.

Dass am Klingelschild ihrer luxuriösen Wohnung in Stockholm der Tarnname "V. Kulla" (wie "Villa Kunterbunt") prangt, ist nicht ohne Ironie eingedenk der Lindgren-Hänseleien, denen ihr Kompagnon wiederholt ausgesetzt ist. Angesichts des harten literarischen Stoffes, den Stieg Larsson einer respektvoll erschütterten Nachwelt hinterlassen hat, stellen Kalauer wie diese wohltuende Brechungen dar.

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