Unkonventionelle FahrtenyachtDschunke „Fu“ – vom Modell zum Eigenbau

YACHT-Redaktion

 · 20.04.2023

Typisch: Die Bootsenden sind hochgezogen, zwei Augen am Bug sollen Dämonen vertreiben
Foto: Christian Irrgang
Die Dschunke „Fu“ im Detail
Dem 1:10-Modell einer originalen chinesischen Dschunke nachempfunden, entstand das Segelschiff „Fu“ in Peenemünde als Eigenarbeit eines Bootsbauer-Paares

Von Christian Irrgang

Der Buchtitel ist ebenso außergewöhnlich wie das Boot, zu dem er führt: „Der blaurote Methusalem“, erschienen im Jahre 1888, schildert die abenteuer­liche Reise eines jungen Studenten nach China. Im fünften Kapitel findet sich dort folgende Passage: „Die großen Handels­dschunken sind ungeschlachte Schiffe von bedeutender Größe, deren Vorder- und Hinterdeck bedeutend höher ist als der Mittelbord, was ihnen ein seltsames Aussehen gibt. Sie ragen mit nilpferdartiger Unbehilflichkeit aus dem Wasser.

Ihr Stern ist sehr breit, gleich demjenigen eines altholländischen Linienschiffes, bunt bemalt und zuweilen vergoldet, und das Deck ist mit einem ungeheuren Strohdache, welches das Fahrzeug noch viel schwerfälliger erscheinen lässt, versehen.


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Die Masten, welche ungemein dick sind, aus einem einzigen Stücke bestehen und keine Stengen haben, tragen an der Spitze eine Rolle, durch welche ein schweres, starkes Tau läuft, mit dessen Hilfe das gewichtige Mattensegel aufgehisst wird.“

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Der Autor dieser Geschichte war ein junger Mann aus Sachsen. Das Land, über das er schrieb, hat er allerdings nie gesehen, wie viele andere, die als Kulisse für seine erfolgreichen Abenteuerromane dienten. Sein Name war Karl May.

Diese Dschunke ist eine Wucht

Ungefähr hundert Jahre später brach an Teilen der Ostseeküste das Chinafieber aus. Anders als aktuelle Seuchen, die man wohl oder übel mit dem Reich der Mitte in Verbindung bringen muss, war diese Epi­demie aber nicht tödlich, noch nicht einmal gesundheitsschädlich, und ihre Langzeitfolgen sind heute nur noch gelegentlich sichtbar. Und wenn sie ins Bild rücken, dann gucken alle hin. Zum Beispiel im alten Hafen von Peenemünde. Da liegt in einer Ecke ein Segelschiff an der Pier, das jedem Besucher, der gegenüber in einer der Fischbuden sein Brötchen verzehrt, sofort ins Auge fällt.

Es handelt sich um die Dschunke „Fu“6,80 Meter lang, 4,80 Meter breit. Ein hoher Rumpf mit einem noch höheren Heck, aus dunklem Holz, der sage und schreibe 35 Tonnen verdrängt. Zwei unverstagte Steckmasten mit merkwürdig geschnittenen Segeln aus rotem Tuch. Sind bereits die Eckwerte dieses Exoten besonders, ist es dessen Genese erst recht.

Mit Eigenbau zum Schiffstraum

Ein Ehepaar wollte sich ein Schiff bauen lassen. Sie kamen, genau wie Karl May, aus Sachsen. Sie stellten sich ein Schiff vor, das sie zu zweit segeln konnten, und es sollte Platz für längere Reisen bieten. Zufällig waren die Tochter und der Schwiegersohn Bootsbauer. Greta und Daniel Weiß, so deren Name, arbeiteten damals mobil in den Häfen an Mecklenburgs Küste, aber ihr Blick ging weit über den Tellerrand hinaus. Sie sollten, sie wollten den Eltern ihr Boot bauen, und sie hatten inzwischen von diesem China-Ding gehört, Booten, die mit einem exotisch anmutenden Rigg nachgerüstet und damit total easy zu steuern sind.

Die Geschichte von der „Jester“ machte die Runde, einem nordischen Folkeboot mit Dschunkenrigg, mit dem der englische Einhandsegler „Blondie“ Hasler aus dem Stand den zweiten Platz bei der ersten Transatlantik-Regatta für kleine Schiffe gewonnen hatte. Irgendwann tauchte der Kutter „Condor“ in der Ostsee auf, der 1939 ganz konventionell in Beidenfleth als Fischkutter vom Stapel gelaufen war, dann aber 1990 von seinem neuen Eigner mit einer Dschunkentakelung versehen wurde. Das war die Zeit, als das Chinafieber um sich griff. Ein Segelmacher in Greifswald war bald infiziert, baute ein Loch-Fyne-Skiff mit Dschunkenrigg, und auch das Eignerehepaar in spe ließ sich davon anstecken. Ein konventioneller Rumpf, aber mit diesem exotischen Rigg, so war der Plan.

Planungs-Finesse bei Mast und Rigg

Die Vorteile der Takelung waren überzeugend: ein Mast, der ohne Stagen steht, Segel, die ohne Schotwinschen zu bedienen sind, stufenloses Reffen, das einfach dadurch möglich ist, dass das Fall gefiert wird. Und Zusatzsegel werden nicht benötigt.

Bevor jedoch die erste Planke gesägt werden konnte, fiel den jungen Bootsbauern durch Zufall ein Buch in die Hände, das schon 1984 im VEB Hinstorff-Verlag in Rostock erschienen war. Der Titel: „Chinesische See-Dschunken“ von Peter Wieg – ein unglaublich detailliertes Standardwerk mit vielen Darstellungen und Fotos. Darin fand sich auf Seite 68 die genaue Beschreibung des Modells einer Chêkiang-Dschunke, in China gebaut und nun im Schifffahrtsmuseum Rostock zu besichtigen. Im Anhang waren die Risszeichnungen des Modells im Maßstab 1:10 abgedruckt. Bei einem Besuch vor Ort, das Modell wurde von allen Seiten begutachtet und fotografiert, fiel dann die Entscheidung: So ein Segelschiff, besser noch, genau dieses sollte es sein.

Vom Modell zur Wirklichkeit

Es gehört schon eine Portion Unerschrockenheit dazu, die Daten eines Modells hochzurechnen auf eins zu eins, um danach ein richtiges Schiff zu bauen; normalerweise läuft das umgekehrt. Deshalb wurde sicherheitshalber erst mal ein Arbeitsmodell hergestellt, um die Schwimmfähigkeit und das Verhältnis des Ballastanteils zu testen. Der Rumpf bestand aus Obstkistenholz und wurde mit Frischhaltefolie abgedichtet. Als das Ding tatsächlich aufrecht schwamm, ging es los. Ein mutiges Verfahren.

Auf dem stillgelegten Peenemünder Militärflughafen konnten die beiden Boots­bauer einen alten Hangar mieten. Als Be­rater dabei war nun auch Alfonso Steinbrüggen, der nach dem Umbau seiner „Condor“ zur Dschunke wertvolle Erfahrungen beisteuern konnte. Vom Revierförster erfuhren sie, dass eine große Eiche im Naturschutz­gebiet umgefallen war. Ob sie damit was anfangen könnten? Genau so etwas hatten sie ja gesucht! Der Stamm dieser Eiche wurde das, was bei einem Haus das Fundament ist: der Kielbalken, auf dem nun alles Weitere auf­gebaut werden konnte. Auch das Holz für das Spantengerüst kam aus heimischen Wäldern. Robinie war das Material der Wahl: äußerst hart, gerbsäurefrei, sodass Eisen­bolzen nicht angegriffen werden. Und was diesen Baum besonders geeignet machte: Seine Äste hatten die natürliche Krümmung für den Einbau als Spanten.

Umfangreiche Arbeiten an der Dschunke

Es mussten einfach immer nur die richtigen genommen werden. Also wurde für jeden einzelnen Spant so lange gesucht und probiert, bis das passende Holz gefunden war – jedes Stück selbst aus dem Wald am Peenemünder Haken geholt. Für Planken, Deck und Schotten wurde jedoch auf auswärtiges Holz zurückgegriffen. Afzelia wurde da verbaut, 40 Millimeter dick und, genau wie Robinie, eisenneutral. Die Stämme der beiden Masten wiederum waren in der Erde von Usedom groß geworden: Thuja, Lebensbäume, wegen ihres langfaserigen Holzes und ihrer Elastizität optimal geeignet.

Die Konstruktion sah einen kräftigen Rumpf mit drei voneinander abgeschotteten Bereichen vor. Hinter dem Kettenkasten wurde ein Kollisionsschott eingesetzt, wasserdicht und ultrastark, denn die Schotten mussten nachher in der Lage sein, große Kräfte aufzunehmen.

Die Masten, durchs Deck gesteckt, sollten mit diesen Schotten fest verbolzt werden. Deshalb wurden die Afzeliabretter doppelt stark verbaut, zwei mal 40 Millimeter. Weil der Fockmast ein paar Grad nach vorn geneigt stehen sollte, wurde das vordere Schott schräg gestellt. Das Hauptschott vor dem Salon würde den Großmast halten, natürlich lotrecht. Weil man sich nicht sicher war, wie sich der runde Rumpf auf Am-Wind-Kursen verhalten würde, wurde ein Steckschwert eingebaut, das sich aber sehr bald als un­nötig erwies und wieder herausgenommen wurde.

Alte Teile, neue Verwendung

Wir befinden uns im Jahr 2002. Im Hafen von Peenemünde hat sich nach der Wende eine Menge schwimmender Schrott angesammelt. Jede Menge ausgemusterte Kriegsschiffe, Überreste der Marine der Nationalen Volksarmee und so einiges, was die Russen Ende der achtziger Jahre bei ihrem Abzug zurückgelassen haben, dümpelt nun da rum. Alles, was noch irgendwie funktioniert, wird ausgebaut; und auf dem Flughafen­gelände nebenan ist ein regelrechter Technikflohmarkt entstanden.

Ein riesiges Dieselaggregat findet von hier auf einigen Umwegen seinen Weg in den Maschinenraum der Dschunke „Fu“. Der JAS-204 mit 130 PS, ein Vierzylinder-Zweitakter, hat früher mal ein russisches Schubboot angetrieben, mit dem Pontonbrücken verlegt wurden. Gekühlt wird er durch eine Einkreis-Kielkühlung und ist damit winterfest. Das größte Kuriosum ist aber das Pumpklo aus einem russischen U-Boot, das sich nun einträchtig mit dem Motor den Maschinenraum teilt. Als Zugabe gibt es noch das Aluminium-Steuerrad im Ruderhaus, ursprünglich stammt es von einem DDR-Minensucher.

Noch nie zuvor haben Greta und Daniel Weiß ein Segelschiff dieser Größe selber gebaut. Drei Jahre lang arbeiten die jungen Enthusiasten an der Dschunke. Dann ist alles bereit für den Stapellauf. Die „Fu“ kommt endlich ins Wasser.

Dschunke als Fahrtenyacht mit allem Notwendigen

Schon beim Näherkommen fällt der positive Deckssprung auf, der vom Dach des Ruderhauses aufgenommen wird. Das Modell im Museum hat keine Decksaufbauten, aber die „Fu“ sollte ja eine Fahrtenyacht werden. In China fahren die Chêkiang-Dschunken als Lastensegler, die bis zur Oberkante beladen werden. Damit der Nachbau genug aufrichtendes Moment bekommt, wurden auf der „Fu“ Bleibarren auf den Kielbalken geschraubt. 100 Stück je 100 Kilogramm, alle extra gegossen.

Ansonsten ist alles vorhanden, was das Schiff auch für längere Strecken fahrtentauglich macht. Was beim Original der Lade­raum ist, wurde hier zum Salon. Dort be­finden sich die Pantry, eine L-Sitzbank und zwei Kojen. Geheizt wird bei Bedarf mit Holz oder Kohle in einem gusseisernen Ofen. Der Multifunktionsraum für Maschinen und Toi­lette ist vom Ruderhaus erreichbar, desgleichen die Achterkammer mit der breiten Doppelkoje. Hier, genau wie im Salon, sind alle Spanten unverkleidet, jeder einzelne Robinienast stellt seine Kraft zur Schau.

Um den Diesel zu starten, drückt Daniel Weiß auf einen Knopf mit kyrillischer Beschriftung, ebenfalls ein Originalteil vom Marine­flohmarkt. Der Motor läuft erstaunlich ruhig, während Weiß die Dschunke hinaus in den Peenestrom steuert. Als wir das Fahrwasser erreicht haben, dreht er den Bug in den Wind und verlässt das Ruderhaus. Nun kommt wieder ein spezieller Gag. Auf dem Kajütdach ist ein Pfosten montiert, dessen Zweck jetzt klar wird. Eine motorgetriebene Rückewinde aus dem Forstbedarf wird daran fixiert und macht, nachdem sie gestartet wurde, einen höllischen Lärm. Aber der Zweck heiligt bekanntlich zuweilen die Mittel, und als Weiß das Großfall auf die Winschtrommel legt und ohne jede körperliche Anstrengung das Segel setzt, das stolze 150 Kilo wiegt, kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Die Dschunke fällt ins Auge

Auch das Vorsegel wird auf diese Weise in den Mast gezogen, damit steht eine Segelfläche von insgesamt 120 Quadratmetern. Der Krachmacher wird zum Schweigen gebracht, der Diesel ebenfalls, und dann setzt sich das Schiff in Bewegung. Der Wind weht heute wirklich schwach, trotzdem macht die „Fu“ gute Fahrt; Yachten, die uns überholen, fahren mit Motor. Zum Segeln hätten die Besatzungen auch gar keine Hand frei, weil sie aus allen Perspektiven Fotos schießen.

Das kann man aber auch verstehen, denn ein derartiger Anblick bietet sich einem Ostseesegler wirklich nicht so häufig. Anders als in Karl Mays Schilderung macht das Schiff auch überhaupt keinen schwerfälligen Eindruck, im Gegenteil. Am auffälligsten ist sicher die Silhouette der Segel. Auf den ersten Blick ist der Vergleich mit einer gesteppten Bettdecke naheliegend. Das Tuch zwischen den durchgehenden Latten, die hier durch Alurohre ersetzt wurden, wölbt sich wie ein geblähtes Kissen. An hinteren Ende der Latten setzt die Schot an, die durch mehrere Blöcke läuft und auf dem Heckkorb belegt wird – ohne Winsch. Desgleichen die Fockschot, deren Fußblock unten am Großmast sitzt. Damit die Segel nicht am Mast nach vorn rutschen, wird jede Latte von einem Rutscher, genannt Rack, gehalten. Die Bedienung dieser Segelführung ist denkbar einfach.

Die Dschunke ist (fast) komplett dem Vorbild nachempfunden

Der Rumpf der Dschunke erinnert von hinten gesehen an eine Kogge – ein Plattgatt-Heck, an dem allerdings die fernöstlich in­spirierten Verzierungen auffallen. Außerdem der kräftige, außen angebrachte Ruderschaft, in dem über Deck die geschwungene Pinne steckt. Auch der besteht aus einem gewachsenen Robinienstamm. Bei den chinesischen Vorbildern ist dieser Ruderschaft vertikal beweglich, sodass das Ruderblatt für einen besseren Trimm abgesenkt werden kann. Bei der „Fu“ geht das nicht, weil eine Stahlmanschette für die Steuerhydraulik des Innensteuerstands dies verhindert.

Für die Beschreibung der Bugpartie hat noch einmal Karl May das Wort: „Rechts und links vom Steven erblickt man je ein Auge, oft vier bis fünf Fuß im Durchmesser haltend und in möglichst grellen Farben gemalt. Von diesen beiden Augen, welche einen eigenartig glotzenden Ausdruck zeigen, haben die Dschunken den allgemein gebräuchlichen Namen ‚Lung-yen‘, das heißt Drachenaugen, erhalten. Sie sollen dem Schiffe jenen drohenden Ausdruck verleihen, durch welchen böse Geister und andere unirdische Ungetüme, welche sich zu gewissen Zeiten zur Erde und besonders in das Wasser niederlassen, vertrieben werden sollen.“

Vollkommen unbehelligt von bösen Geistern und Ungetümen segelt die Dschunke „Fu“ dagegen auf der Ostsee.

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 7/2021


Technische Daten Dschunke „Fu“

Dschunke FU - Risszeichnung des Modells aus dem Rostocker SchiffahrtsmuseumFoto: Christian Irrgang
  • Konstrukteur: Greta und Daniel Weiß
  • Rumpflänge: 16,80 m
  • Breite: 4,80 m
  • Tiefgang: 1,70 m
  • Gewicht: 35,0 t
  • Ballast/-anteil: 10,0 t/28 %
  • Großsegel: 71,0 m²
  • Vorsegel: 41,0 m²
  • Motor: (JAS 204) 130 PS
  • Wasser/Diesel: 800 l/1.200 l

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