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Wintersport Katarina Witt

Sexy, glamourös, dramatisch – und dann beschwipst

Eiskunstlaufkönigin Katarina Witt erinnert sich im "Welt"-Interview an ihren Olympiasieg in Calgary vor 25 Jahren. Die 47-Jährige wünscht sich eine neue Olympiabewerbung der Deutschen.

Als Katarina Witt schaffte, was vor ihr noch keiner Deutschen gelungen war, trug sie ein knappes Kostüm mit bunten Federn. 25 Jahre später ist die zweimalige Olympiasiegerin im Eiskunstlaufen deutlich winterlicher gekleidet, als sie zum Interview erscheint. Und auch das Getränk ist ein anderes als 1988 in Calgary: Statt Sekt gibt es diesmal wärmenden Cappuccino.

Die Welt: Frau Witt, ihre Gold-Fahrt in Calgary begann um halb fünf morgens, weil Sie als erste Starterin von allen ihre Pflicht absolvieren mussten. Sind Sie eine Frühaufsteherin?

Katarina Witt (47): Ich sage mal so: Nicht nur das Eis hat damals vor sich hingefroren (lacht). Zu der Zeit bestand das Programm der Eiskunstläufer ja noch aus drei Teilen: Pflicht, Kurzprogramm und Kür. Vor allem der Pflicht-Tag, der in der Regel um sieben Uhr früh anfing, zog sich immer elend lang. Wenn ein Teilnehmerfeld von 30 Mädchen sein Programm, das ja auch noch aus drei Abschnitten bestand, absolvieren muss, kann das schon mal bis zum späten Nachmittag dauern. Und so war es auch in Calgary. Ich bin sogar zurück ins Olympische Dorf gefahren, weil ich so viel Wartezeit zwischen meinen Pflichtfiguren hatte.

Die Welt: Was haben Sie da gemacht?

Witt: Ich bin erst mal frühstücken gegangen. Morgens früh hatte die Mensa ja noch zu. Deshalb hat mir meine Trainerin an diesen Tagen immer ein Schnittchen selbst gemacht, meistens Pumpernickel mit Salami von zu Hause. Das Frühstücken war dann später eine willkommene Ablenkung.

Die Welt: Redet man in dieser Phase bewusst nicht über den laufenden Wettbewerb, oder führt da gar kein Weg dran vorbei?

Witt: Mal so, mal so. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Relaxen und Konzentration. Ich glaube, an dem Tag habe ich mich sogar später noch für eine Stunde hingelegt. Das hat also scheinbar ganz gut geklappt mit dem Abschalten (lacht).

Die Welt: Dabei war der Rummel um ihre Person sehr groß.

Witt: Ja, er war riesig. Ich hatte das ein wenig kommen sehen, weil ich einige Wochen vor den Spielen als erste ostdeutsche Sportlerin auf dem Cover des europäischen "Time-Magazines" gewesen bin und auf dem der US-Ausgabe meine große Konkurrentin Debi Thomas. Aber dass das so extrem sein würde, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte ja keine Ahnung, wie so ein Medienrummel funktioniert. In Absprache mit der DDR-Sportführung wurde eine Pressekonferenz einberufen, um dem Andrang Herr zu werden. Da waren mehr als 600 Journalisten – so etwas hatte es vorher noch nie bei Olympischen Spielen gegeben.

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Die Welt: Ihr Duell mit Debi Thomas wurde in Anlehnung an Ihre gemeinsame Kür-Musik stilisiert als "Battle of the Carmens", vor allem aber als Kampf zwischen Ost und West. Wie sind Sie als 22 Jahre alte Sportlerin damit umgegangen?

Witt: Ich zog mir diesen Schuh damals bereitwillig an. Natürlich profitierten wir Sportler von dem damaligen sportlichen System. Und solche Momente dienten dazu, mit Leistung etwas davon zurückzugeben. Im Vergleich etwa zu Debi Thomas, die nebenbei Medizin studiert hat, hatte ich in der DDR perfekte Trainingsbedingungen. In Calgary spitzte sich unsere jahrelang andauernde Konkurrenz als die "Auseinandersetzung zwischen Ost und West" zu. Sicherlich auch durch den Zufall, dass wir beide die gleiche Musik gewählt hatten und Debi einen russischen Choreografen engagiert hatte. Viel mehr Drama hätte sich kein Autor ausdenken können.

Die Welt: Was geht Ihnen heute durch den Kopf, wenn Sie George Bizets Oper hören?

Witt: Die "Carmen" verfolgt mich seit dem Tag von Calgary. Es gibt eine ganz tolle Verfilmung von Carlos Saura, einem spanischen Choreografen, die mir gut gefallen hat. Im Vorfeld der Spiele habe ich mich sehr intensiv mit dem Stück beschäftigt und versucht, jeden Gedanken und jede Wendung nachzufühlen. Anfangs habe ich versucht, diese Bindung nach der Goldmedaille wieder abzuschütteln. Aber das hat nicht geklappt. Ich glaube, "Carmen" ist für immer ein Teil von mir.

Die Welt: Was ist aus Ihrem berühmten "Carmen"-Kostüm geworden?

Witt: Das hängt im olympischen Museum in Lausanne und ist jetzt Teil der olympischen Geschichte. Das macht mich schon stolz. Das Kleid galt damals als so besonders, weil es dem Image der DDR in der Welt total widersprach: Es war sexy, glamourös und dramatisch. Nicht so grau und neblig, wie viele die DDR gesehen haben wollen.

Die Welt: Durften Sie bei der Entwicklung des Kostüms mitreden?

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Witt: Natürlich. Das ist ja so schön am Eiskunstlaufen, dass man nicht nur sportlich gefordert ist, sondern sich auch kreativ austoben darf. Zum Glück hatten wir Zugang zu den Stoffen im Friedrichstadtpalast, wo die großen Revuen stattfanden. Beide Olympia-Kostüme für die Kurzkür und Kür wurden dort geschneidert. Deshalb hatte ich mehr Ähnlichkeit mit einem Showgirl als mit einem Wintersportler. Dies sorgte auch für viel Diskussionsstoff bei den Spielen.

Die Welt: Vor der entscheidenden Kür lagen Sie auf Platz zwei, hinter Debi Thomas. Wie haben Sie die entscheidenden Minuten in Erinnerung?

Witt: Mein erster Gedanke nach meiner Kür war: Mist, ich habe Debi die Tür noch offengelassen. Neben meinen vier Dreifachsprüngen bin ich anstelle eines dreifachen Rittbergers nur einen doppelten gesprungen – ich war zufrieden, aber es waren nur 98 Prozent meines Könnens und nicht 100. Debi Thomas war nach mir dran. Ich schaute mir ihre Kür von der Tribüne an. Aber ich merkte sofort, dass sie diesem Druck nicht gewachsen war

Die Welt: Woran?

Witt: Sie hatte ein Ritual mit ihrem Trainer. Bevor sie aufs Eis ging, klatschten sie sich immer ab. An dem Tag verfehlten sich ihre Hände. Da wusste ich, dass da etwas nicht stimmte. In so einem Moment braucht man als Leistungssportler eine große Portion Draufgängertum. Die fehlte ihr.

Die Welt: Plötzlich war die Kanadierin Liz Manley die größte Gefahr für Ihre Goldmedaille.

Witt: Genau. Ich sah, dass ihre Kür super war und wähnte sie aber in genügendem Abstand hinter mir. Als ihre Benotung kam, war ich schon in der Kabine, um mir meine Schlittschuhe für die Siegerehrung anzuziehen. Plötzlich hörte ich einen ohrenbetäubenden Jubel und bekam einen Riesenschreck.

Die Welt: Sie dachten, Manley hätte Gold und Sie doch nur Silber.

Witt: Im ersten Moment, ja. Mir hatte ja noch niemand eine offizielle Bestätigung gegeben, es gab in den Katakomben keinen Monitor in meiner Nähe mit dem Endergebnis. Ich war völlig verwirrt und schaute fragend umher. Dann kam Christopher Dean, der Olympiasieger von 1984, auf mich zu. Erst als er mir gratulierte, wusste ich, dass ich es geschafft habe. Der Jubel der Zuschauer galt der Silbermedaille von Liz Manley, die für sie wie eine Goldmedaille war.

Die Welt: Wirkten Sie deshalb bei der anschließenden Pressekonferenz so konfus?

Witt: Ehrlich gesagt hatte das einen anderen Grund. Alle Medaillengewinner mussten nach dem Wettkampf natürlich zur Dopingkontrolle. Um dieses Procedere zu beschleunigen, hatte ich ein Glas Bier getrunken. Ich trank sonst nie Bier, nur zur Dopingkontrolle.! Ich war einfach ein bisschen beschwipst, deswegen habe ich bei der Pressekonferenz so albern herumgekichert.

Die Welt: Die perfekte Ouvertüre für eine rauschende Siegesfeier.

Witt: Naja, die Party fiel nachher sehr bescheiden aus. Meine Trainerin war dabei und zwei, drei Funktionäre. Dann gab es Eberswalder Würstchen und unseren Rotkäppchen-Sekt. Das war’s schon. Am nächsten Tag stand ja noch das Schaulaufen auf dem Programm. Da konnte ich ja nicht völlig derangiert auftauchen.

Die Welt: Würden Sie rückblickend sagen, dass dieser Olympiasieg wertvoller war als Ihr erster?

Witt: Auf jeden Fall. Es ist immer schwieriger einen Titel zu verteidigen, als ihn zum ersten Mal zu gewinnen. Das hatte bis dahin nur Sonja Henie vor über 50 Jahren geschafft. Außerdem gab es einen Deal mit der damaligen Regierung.

Die Welt: Wie sah der aus?

Witt: Nur bei einer Goldmedaille dürfte ich nachher bei den Shows in Amerika und Kanada laufen. Ich wusste: Ich brauchte diesen Olympiasieg, um meinen Traum zu verwirklichen, weiterhin eislaufen zu dürfen. Das war extrem wichtig für mich.

Die Welt: Welchen Stellenwert hat der 28. Februar in Ihrem Kalender?

Witt: Ich denke eigentlich immer daran zurück, wenn der Februar sich dem Ende entgegen neigt. Genauso ist es mit dem 18. Januar, dem Jahrestag meines ersten Olympiasieges. Es ist schön, wenn es so präsent ist und sich ein paar Leute mit mir zurückerinnern. Zum 25. Geburtstag von Calgary habe ich beschlossen, einen "Carmen"-Abend bei mir zu Hause zu veranstalten. Ich habe ein paar Freunde und Familienmitglieder eingeladen. Die müssen sich dann alle mit mir die alten Aufnahmen von damals anschauen (lacht).

Die Welt: Neben den Shows haben Sie noch Filme gemacht, waren Jurorin bei mehreren TV-Shows, haben eine Stiftung zur Unterstützung benachteiligter Kinder gegründet und zuletzt der Olympiabewerbung Münchens für die Winterspiele 2018 Ihr Gesicht gegeben. Den Zuschlag hat vor anderthalb Jahren die südkoreanische Stadt Pyeongchang bekommen. Sollte Deutschland einen neuen Anlauf wagen?

Witt: Unbedingt. Ich wünsche mir von Herzen, dass die Niederlage uns nicht den Schwung für eine neuerliche Olympia-Bewerbung geraubt hat. Deutschland kann das. Es wäre ein großer Motivationsschub für die jungen Athleten in unserem Land. Deutschland liebt den Sport und seine Sportler. Ich hoffe, dass sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit den Verbänden und der Politik einigen kann, um einen neuen Anlauf zu wagen.

Die Welt: Winter- oder Sommerspiele?

Witt: Diese Entscheidung muss man dem DOSB überlassen. Bei uns genießen die Sportler eine breite Unterstützung in der Bevölkerung und hat eine große Tradition, Dass der Wintersport mein Herz ein wenig mehr ausfüllt, liegt ja wohl auf der Hand.

Die Welt: Was müsste anders laufen als bei München 2018?

Witt: Unsere Bewerbung war sehr gut, aber die Ausdauer und Verbesserungen von Pyeongchang wurden belohnt. Die Stimmung im IOC war eindeutig pro Asien. Europa als Kontinent muss auch hier aufpassen, nicht den Anschluss an Regionen zu verlieren, in denen es extrem schnell vorangeht und deren Entwicklung voller Dynamik ist. Noch ist die Begeisterung der vergangenen Bewerbung in der Bevölkerung vorhanden. Vielleicht sollte man dies nutzen.

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