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Rumänische Willkür

Bukarest / Lesedauer: 5 min

Schwierige Lebensbedingungen treiben Flüchtlinge nach Westen
Veröffentlicht:07.01.2014, 11:10

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„Keiner von uns wollte nach Rumänien. Wir sind durch Zufall hier gelandet“, erzählt Ray. Er ist Flüchtling aus Gambia. Seinen Nachnamen will er nicht verraten. Wie Ray geht es vielen Flüchtlingen in Rumänien. Zwar dürfen sie in Rumänien einer Arbeit nachgehen, doch diese überhaupt zu bekommen, stellt gerade Afrikaner vor eine unüberwindbare Hürde, wie Ray erzählt. „Ich wurde bei einem Vorstellungsgespräch bei einem Taxiunternehmen wieder weggeschickt. Die wollen keine Schwarzen“, berichtet er.

Welches Ausmaß die Flüchtlingstragödie hat, spürt auch Rumänien. Zwar gibt es dort bei Weitem nicht so viele Flüchtlinge wie in Griechenland, Italien oder in Bulgarien, aber die Probleme sind ähnlich: schlechte Behandlung durch die Behörden, menschenunwürdige Unterkünfte. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, berichtet das UN-Flüchtlingskommissariat.

Nach wie vor ist die Fahrt über das Mittelmeer die häufigste Route nach Europa. Doch weil dort viele Menschen ertranken, werden die Landrouten über den Balkan immer wichtiger. Bisher kommen die meisten auf dieser Route über die Türkei nach Bulgarien oder nach Griechenland in die EU .

Boote vor Mangalia

„Wir verzeichnen in Rumänien eine völlig neue Entwicklung“, berichtet Liviu Marius Galos , der Chef der rumänischen Grenzpolizei in Bukarest. „Mittlerweile kommen Flüchtlingsboote aus der Türkei über das Schwarze Meer in rumänische Gewässer vor Mangalia. Im Juli und September haben wir erstmals drei solche Fälle gehabt“, sagt Galos gegenüber der Schwäbischen Zeitung.

Laut Dublin-II-Abkommen ist jener Staat, in dem der Asylbewerber zuerst registriert wird, für diesen zuständig. Die rumänische Grenzpolizei überwacht ihre Grenze akribisch, schließlich will das Land in den Schengen-Raum aufgenommen werden. All diese Asylbewerber wollen weiter in Richtung Deutschland, Niederlande, Frankreich oder Schweden. Das zeigen Umfragen der UNHCR. 30 Prozent gaben an, Rumänien sofort verlassen zu wollen.

Warum viele Flüchtlinge aus Rumänien weg wollen, weiß Mbela Nzuzi . Sie floh 1997 aus der Demokratischen Republik Kongo nach Rumänien. Mitten im Meer der Bukarester Plattenbauten betreibt sie ihre „Terrace“ – eine Art Klub für Flüchtlinge. Der Weg dorthin führt durch einen dunklen Keller in einen Hinterhof. Straßenhunde bellen. Mbela Nzuzi steht am Ofen und kocht afrikanisches Essen. Hier bekommen die Flüchtlinge unbürokratisch Hilfe. Hauptsächlich kommen afrikanische, aber auch andere Asylbewerber hierher.

Die 37-jährige Nzuzi floh aus politischen Gründen aus dem Kongo. Ihr Mann war in der Oppositionsbewegung aktiv und wurde verhaftet. Nach seiner Freilassung kam das Ehepaar mit dem Flugzeug nach Rumänien – mit der Hilfe eines Freundes aus Bukarest . Nicht alle Flüchtlinge in Rumänien konnten so komfortabel fliehen. Weil Mbela Nzuzi selbst Hilfe bekommen hat, möchte sie etwas zurückgeben und den Flüchtlingen in Rumänien eine Stütze sein.

„Es ist unglaublich schwer, hier eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen“, berichtet die Kongolesin. „Viel Papierkram, alles auf Rumänisch. Die meisten verzweifeln, weil sie keinen Übersetzer bekommen, so wie es das Gesetz vorsieht“, erzählt sie. „Man kriegt ein Formular und unterschreibt es, hat aber keine Ahnung, was draufsteht.“ Viele Flüchtlinge fühlen sich der Willkür ausgeliefert. Kein Wunder, haben viele, die bei ihr Rat suchten, Rumänien schon wieder verlassen.

Menschenwürdiges Leben

Einer, der durchreiste, ist Jean, der in Belgien lebt und Mbela Nzuzi besucht. Dort hat er eine Belgierin geheiratet, Kinder und Arbeit. „Alles ist besser als Rumänien. Die geben dir nicht mal das Nötigste“, sagt er. „Von 30 Euro im Monat kann man nicht leben.“ Selbst für rumänische Verhältnisse ist das sehr wenig. „Außerdem muss jeder damit rechnen, jeder Zeit abgeschoben zu werden“, erzählt Ray. Deswegen gehen viele, wie Jean, den Weg der Heirat. Er hat eine Belgierin geheiratet und Kinder. „Eine Frau zu heiraten – das ist in Rumänien kein Problem“, sagt Ray.

Trotz all dieser Schwierigkeiten könne man es in Rumänien schaffen, ist sich Mbela Nzuzi sicher. Die charismatische Frau spricht Rumänisch, tritt im Fernsehen auf und verdient ihr Geld selbst. Sie fühlt sich wohl in Bukarest und will hier nicht mehr weg. Den Flüchtlingen in Osteuropa müsse ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden, sagt sie. „Dann wollen nicht alle weiter nach Westeuropa.“

Die meisten Flüchtlinge in Rumänien haben sich das osteuropäische Land nicht zum Ziel gesetzt. Entweder sie kamen, weil sie dort Helfer kennen oder wegen der geografischen Lage – vor allem über die Türkei, Griechenland, Bulgarien oder direkt über das Schwarze Meer. Flüchtlinge in Bukarest erzählen, dass sie von Rumänien vor der Ankunft nichts wussten, außer dass das Land Mitglied der EU ist. Die Flüchtlinge berichten, dass Schlepperbanden sie oft in Rumänien mit dem Satz „Ihr seid jetzt in Deutschland“ aussetzen. Zwar sind die meisten anfangs glücklich, in Frieden leben zu können, doch die oft schwierigen Lebensbedingungen lassen sie weiter Richtung Westeuropa ziehen. Sind sie allerdings erst einmal in Rumänien registriert, werden sie aus jedem Land der EU nach Rumänien zurückgeschickt. Das schreibt das Dublin-Abkommen vor. Beispielsweise wollte Deutschland laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2012 insgesamt 11 469 Asylbewerber in andere EU-Staaten zurückschicken, tatsächlich wurden nur 3037 abgegeben. Nach Rumänien hätten 125 abgeschoben werden sollen, tatsächlich waren es 62. Die meisten Asylsuchenden in Rumänien kommen laut UNHCR aus Afghanistan, Irak, Syrien, Afrika und den Maghreb-Staaten. (ric)