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Bielefeld

Vernarrt in die Äpfel

Der Pfarrer und Pomologe Korbinian Aigner wird jetzt als Künstler entdeckt

10.08.2013 | 10.08.2013, 00:00
Den Apfel "KZ-3" hat Korbinian Aigner im KZ heimlich gezüchtet. Nach seiner Flucht hat er die Sorte mit der Nummer 600 gemalt. - © FOTO: TU MÜNCHEN
Den Apfel "KZ-3" hat Korbinian Aigner im KZ heimlich gezüchtet. Nach seiner Flucht hat er die Sorte mit der Nummer 600 gemalt. | © FOTO: TU MÜNCHEN
Vernarrt in die Äpfel - © Kultur
Vernarrt in die Äpfel | © Kultur

Bielefeld/Berlin. Ausgerechnet im Konzentrationslager von Dachau, diesem Ort der Qualen und des Todes, gelang es dem katholischen Pfarrer Korbinian Aigner, neues Leben zu schaffen. Der Apfelpfarrer genannte Aigner züchtete dort heimlich vier Apfelsorten - im jeden Jahr seiner Haft eine. KZ-1 bis KZ-4 betitelte er sie und schmuggelte die Sämlinge hinaus.

"KZ-3" wird bis heute angebaut. Seit den 80er Jahren unter dem Namen "Aigner-Apfel". Doch Aigner hat nicht nur Äpfel gezüchtet, sondern auch mehr als 649 Apfel- und 289 Birnensorten in Postkartengröße gemalt. Dieses faszinierende Gesamtwerk kann der Interessierte jetzt dank eines 512 Seiten starken Prachtbands, der im Verlag Matthes & Seitz erschienen ist, auf sich wirken lassen.

Information

Pfarrer und Lehrer

  • Der Bauerssohn, Pfarrer und Religionslehrer Korbinian Aigner, 1885 in Hohenpolding geboren, lehrte seit etwa 1912 Zeichnen am Knaben-Seminar Scheyern.
  • Als Gegner der Nazis wurde er denunziert und inhaftiert. Im Dachauer KZ züchtete er Schößlinge für Apfelbäume. Aigner gab den Sorten die Namen KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4.
  • Er überlebte die Haft, blieb Seelsorger und widmete sich bis zu seinem Tod 1966 dem Obstbau und der Zeichnung von Apfelsorten.

Dass Aigner, der 1885 in Hohenpolding in Oberbayern geboren wurde, nun auch als Künstler entdeckt und gewürdigt wird, ist Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev zu verdanken. In dem wohl überzeugendsten Raum der letztjährigen Kasseler Kunstschau zeigte sie die Apfelbilder des Pfarrers, die dieser zwischen 1910 und 1966 akribisch gemalt hat.

Hunderte gerahmte Äpfel

Wer den Raum im Fridericianum betrat, war gebannt von seiner Monotonie, seiner Strenge. Bis unter die Decke waren hunderte gerahmte Äpfel zu sehen. Jeder Apfel eine andere Sorte. Jedes Bild gleich groß. Jeder Apfel dennoch verschieden. Ein Millionenpublikum entdeckte in Kassel den Apfel-Pfarrer. Als "Konzeptkunst" titulierten die Documenta-Macher Aigners Werk. Neben den Pfarrer, Apfelkundler und Wissenschaftler tritt seitdem der Künstler Aigner. Doch dabei ist, wie Julia Voss in ihrem trefflichen Vorwort zum Band "Korbinian Aigner. Äpfel und Birnen - Das Gesamtwerk" schreibt, nicht einmal klar, was den Pfarrer letztendlich zu seinem künstlerischen Werk getrieben hat.

Es gibt nur wenige Akten, Briefe und Berichte von Augenzeugen über diesen ungewöhnlichen Menschen, der sich regelmäßig mit den Bauern im Wirtshaus zum Frühschoppen traf, den Hohenpoldinger Obstbauverein gründete, Mitglied der Bayerischen Volkspartei war und es mit dem Pfarrersein und vor allem dem Zölibat nicht zu genau nahm. "Pomolog schielt zu sehr nach dem Weiblichen", heißt es in einem kirchlichen Vermerk. "Sittliches Betragen nicht zweifelsfrei", heißt es an anderer Stelle, weil Aigner sich 1923 mit einem Dienstmädchen eingelassen hatte. Eine Strafversetzung folgte und erst 1931, zwanzig Jahre nach seiner Priesterweihe, erhält der mittlerweile 46-Jährige ein Pfarramt.

Korbinian Aigner am 15. Mai 1965. - © FOTO: THEO GEORGE
Korbinian Aigner am 15. Mai 1965. | © FOTO: THEO GEORGE

Doch weiterhin gilt die Leidenschaft Aigners vor allem den Äpfeln und Birnen. Er baut sie an, er unterweist Kinder in der Pomologie, sammelt Informationen und malt die Früchte wieder und wieder.
Im Christentum steht der Apfel für den Sündenfall. Malt Aigner seine Äpfel etwa, weil er als Pfarrer wider den Stachel seiner Kirche löcken will, fragt Voss, lässt die Antwort aber offen, weil es an Belegen für diese These mangelt, kommt aber zu einem sicheren Schluss: "Wenn wir heute seine Gemälde betrachten, wird deutlich, dass er mehr war als ein pomologisch gebildeter Theologe: er war ein Wissenschaftler und Künstler."

Im Stile eines alten Meisters

Im Stile eines alten Meisters malt er seine Äpfel - doch nicht nur die schönen, auch kleine, schrumpelige. Detailgenau geht er vor. Die Karten sind geeignet für den Unterricht, lassen sich wie eine wissenschaftliche Datei nutzen. Fachautoren beziehen sich auf ihn. Seine Bilder verzeichnen Pflückdaten, den Sortennamen, aber nicht wann er die Bilder gemalt hat. Die Vielfalt macht staunen, begeistert für die Früchte als auch für die Bilder selber, erinnert daran, wie wenige Sorten wir heute noch kennen, vorfinden.

Aigner ist aber auch politisch ein eigenwilliger Kopf. Mit den Nazis will er nichts zu tun haben. Er selbst hat dazu einmal gesagt, "ich wollte kein stummer Hund sein". Und so weigerte er sich, die Hakenkreuzfahne zu hissen und die Glocken zum "Friedensappell des Führers" zu läuten, kritisierte in seinen Predigten den Nationalsozialismus und sympathisierte öffentlich mit Georg Eisler, der im November 1939 versucht hatte, Hitler zu töten. Aigner wurde denunziert, 1940 zu einer Haftstrafe verurteilt und 1941 von einem Gefängnis aus in den so genannten Priesterblock des KZ Dachau überstellt. Ab 1942 wird der Paketempfang erleichtert. Aigner lässt sich auf diesem Weg Apfelsamen ins Lager schmuggeln und züchtet die Apfelsorten KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4 in einer versteckten Baumschule. Seine Vertraute Josefa Mack kann die Sämlinge nach draußen schmuggeln und einpflanzen. Später tragen sie Früchte.

Nach seiner Flucht von einem Todesmarsch im 1945 malt Aigner auch diese Sorten und viele andere bis 1966. Im Buch sind jetzt alle Bilder in Originalgröße zu entdecken und mit ihnen dieser ungewöhnliche, nicht ganz zu ergründende Mann, der sich seinen zerschlissenen grünen Mantel, den er im KZ Dachau getragen hatte, am 5. Oktober 1966 mit ins Grab legen ließ. "Mehr Pomologe als Pfarrer", hatte das bischöfliche Ordinariat über Aigner noch zu seinen Lebzeiten geurteilt. Und ein großer Künstler. Das macht dieser Band nun deutlich. Schön, dass der Verlag Matthes & Seitz dieses Projekt in seiner neuen Reihe Naturkunden gewagt hat.