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Mein Lieblingskunstwerk: Der Korbiniansapfelbaum und die Aquarelle

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Apfel-Aquarelle von Korbinian Aigner im Fridericianum.
Apfel-Aquarelle von Korbinian Aigner im Fridericianum. © -

Ein Apfelbaum steht einsam auf einer Wiese – das soll ein Zeichen gegen den Nationalsozialismus sein? Ein Symbol für die documenta? Ja, das ist es. Und zwar eines mit mehr Wucht als so manches Werk, das durch Lautstärke seine Botschaft in die Welt hinaustragen will.

Wer dieses Kunstwerk in der Nähe der Orangerie verstehen will, kommt schnell zu Korbinian Aigner, einem bayerischen Priester (1885-1966). Mit Vehemenz predigte er gegen das NS-Regime – und wurde dafür ins Konzentrationslager nach Dachau deportiert.

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Ein Ort des Schreckens, der Unterwerfung. Und doch wagte Aigner hier den Widerstand im Kleinen: Unbemerkt züchtete er hinter einer Baracke einige Apfelbäume. Eine Saat des Lebens, die schließlich den Nationalsozialismus überlebte. Genau so wie Korbinian Aigner, der sich nach dieser schweren Zeit der Obstkunde widmete.

Korbinian Aigner - der bayerische Pfarrer überlebte das KZ Dachau und züchtete dort als stilles Zeichen des Widerstands Apfelbäume.
Korbinian Aigner - der bayerische Pfarrer überlebte das KZ Dachau und züchtete dort als stilles Zeichen des Widerstands Apfelbäume. © -

Eine seiner neu geschaffenen Sorten lebt auch nach Aigners Tod als Korbiniansbaum fort. Und im Herbst 2011 fand dann ein junges Exemplar seinen Weg in die Karlsaue. Der Künstler Jimmie Durham pflanzte ihn dort mit Carolyn Christov-Bakargiev, der künstlerischen Leiterin der documenta 13. Hier steht der Baum nun, mit saftig grünen Blättern, als Hommage an Aigner und als Zeichen gegen eine Ideologie, die die Welt in den Abgrund stürzte.

Gleich eine ganze Serie von Früchten findet sich außerdem im Fridericianum: In Hunderten Aquarellen zeichnete Aigner Sorten aus aller Welt ab. Seine Bilder zeigen große, kleine, schiefe, schrumpelige, mit Stippen und Punkten versehene Äpfel – und aus diesem Arrangement lässt sich durchaus auch ein Plädoyer für die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen herauslesen.

Beide Werke stehen ganz im Geiste von Luther, dem der Satz zugeschrieben wird: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich doch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Der Pfarrer hat eben dies getan – und die documenta hat daran auf so gelungene Weise angeknüpft.

Der erste Korbiniansbaum hat den Nazis getrotzt, das Kasseler Exemplar wird nun für Jahrzehnte in der Karlsaue stehen. Es wird mit jeder neuen Blüte und jeder neuen Frucht seine Botschaft vermitteln. Unscheinbar, aber eindrucksvoll.

Von Philipp David Pries

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