Eiskunstlauf: "Mademoiselle, erlauben Sie?"

Eiskunstlauf, Emmerich Danzer, Oesterreich
Eiskunstlauf, Emmerich Danzer, Oesterreichullstein bild - Horstmüller / Ullstein Bild / picturedesk.com
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Eiskunstlauf ist die Gabe, Anmut, Akrobatik und Lebensfreude zu vereinen. Emmerich Danzer gewann vor 50 Jahren WM-Gold. Über Pirouetten, Hits und Sprünge.

Pirouetten, Schritte, Sprünge, Kombinationen. Dazu das richtige Kostüm, das passende Lied, einer Melodie. Tägliches Training, Abstimmung mit dem Betreuer, der geschulte Blick für selbst minimalste Details. Offene Hallen, Eisflächen, Verständnis und Anerkennung für das Vorhaben, finanzielle Mittel, Absicherung in der Arbeitswelt, Perspektiven – wenn Emmerich Danzer, 71, über Eiskunstlauf erzählt, funkeln seine Augen. Österreichs dreifacher Weltmeister und vierfacher Europameister hat ja auch alles erlebt. Die Höhen mit Turnieren, dem Leben in Amerika und ausverkauften Revue-Shows – und die Tiefen, in denen sein Sport in Österreich gelandet ist.

Eiskunstlauf geriete in Österreich zusehends in Vergessenheit, sagt Danzer, der 1966 in Davos erstmals die Nummer eins der Welt war und ins Rampenlicht lief. Der Wiener war Österreichs Sportler des Jahres, 1966 und 1967, in der Gegenwart ist das schier undenkbar. Fußball, Ski, Skispringen, Motorsport, für Sportarten fern des TV-Lichtkegels wird es zusehends schwieriger in der breiten Wahrnehmung. Dabei habe Eiskunstlauf so viel zu bieten. Es ist Anmut auf Eis, vermittelt Lebensfreude, Akrobatik – Entertainment.


Figuren und ihre Geschichten. Danzer begann im Alter von fünf Jahren mit dem Eislaufen. Seine Eltern nahmen ihn mit, Bewegung und Begeisterung waren entfacht. „Ned wackeln“, dachte er sich anfangs, schulte sein Können in Kinderkursen und wurde, geleitet von Herta Wächter, ein Ausnahmekönner. „Es war ein unerhört schönes Gefühl, ich liebte die Figuren, die Wahl der Musik“, erinnert sich Danzer, der später auch vier Jahre lang als hoch bezahlter Profi der Eisrevue auftrat, sich in Kanada und den USA („Ich liebe Lake Placid und New York“) als Trainer und im ORF als TV-Kommentator neben Ingrid Wendl einen Namen machte.

Er wolle alles, nur keinen Negativisten („Man kann immer nur der Beste seiner Zeit sein“) mimen, der seine Verdienste ins Schaufenster stellt und plakativ auf andere mit dem Finger zeigt. Aber neue Strömungen, Bewegungen und Ideen wären hilfreich. Sonst gelten Eiskunstläufer aus Österreich bald endgültig als Exoten.

Doch wie jeder Sport, auch diese Sparte lebt von Stars und deren Erfolgen – und freilich von Geld. Einnahmen der Wiener Eisrevue, sie gehörte Karl Schäfer, flossen einst in den Sport zurück, „und als sie 1970 verkauft wurde, war in Österreich über Nacht alles anders“, erzählt Danzer. Als hätte man den Wasserhahn zugedreht.

Eisrevue? Mehr als zwei Jahrzehnte lang begeisterte sie Millionen von Zuschauern. Läuferinnen wie Eva Pawlik, Ingrid Wendl und Hanna Eigel waren in den 1950er-Jahren bekannt. Es war die erste Vereinigung österreichischer Sportler, die nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 ins Ausland reiste. Die Tourneen führten durch Europa, Nordafrika, die USA und nach Israel. Ab 1968 war Danzer, Österreichs letzter Weltmeister, ihr Zugpferd.

Für manch einen ist Eiskunstlauf wie der Cirque du Soleil, die Antwort auf Eisflächen ist in der Gegenwart eben Holiday on Ice. Nur sind hierzulande die Figuren, die klingenden Namen verschwunden. Der Gründe gibt es sonder Zahl, neben zu schwerem Zugang, Aufwand und zu hohen Kosten und der Perspektive fehlen erfolgreiche Idole. Aber wer kennt noch die Könner von einst? Wächtler, Seibt, Schwartz, Oppelt, Eigel, Wendl, Walter, Heitzer, Frohner, Sengstschmid, Danzer, Schwarz, Schuba, Kristofics-Binder – sie alle schrieben ihre eigenen Geschichten mit Figuren und traumhaften Pirouetten.

Der Niedergang des Eiskunstlaufs ist aber kein rein österreichisches Phänomen oder der fehlenden Sportkultur geschuldet. Auch in Hochburgen wie Amerika und Deutschland sind Zuschauerzahlen rückläufig. In Ermangelung plakativer Stars? Danzer schüttelt den Kopf. Es ist ihm ein Rätsel.


Dreifach, vierfach – Sprung. Eislaufen sei, beteuert Danzer vehement, weiterhin populär. Bei Kindern, Familien, Liebespaaren – jeder gehe doch gemeinsam auf das Eis. Das beweise ihm der Blick auf den Rathausplatz, wo jährlich im Winter die Massen ihre Runden drehen, der Besuch beim Engelmann in Hernals, dem Eislaufverein, der kleinen Stadthalle. Aber dahinter? Eiskunstlauf sei ein sehr kostspieliges Unterfangen. Mit Training, ob Ballett, Tanz oder Sprung. Mit Betreuern, Eiszeiten, Kostümen, etc. „Zwei Drittel bringt man als Talent mit, ein Drittel liefert der Wille.“ Und alles andere sollte in Wahrheit ausfinanziert sein, denn die Perspektive einer lukrativen Karriere nach dem Sport ist auf dem selektiven Markt sehr eingeschränkt.

Sein Sport habe sich verändert, sagt Danzer, auf und abseits der Eisflächen. Waren vor 50 Jahren noch Schritte und Pflichtfiguren mit linkem und rechtem Fuß ein Muss, „so sind es heute Dreifach- und Vierfachsprünge. Das ist die Evolution.“ Da komme nicht mehr jeder mit, die Spreu trenne sich in der Gegenwart schneller vom Weizen als damals. Es ist ein Schaulaufen allerhöchster Güte geworden. Wer zu schwach ist, läuft schnell im Dunkeln.

Für Nachfolger sieht der ehemalige WEV-Chef keine rosige Zukunft. Es sei ein hartes Geschäft, Barbora Silna/Juri Kurakin wurden im Eistanz bei der EM in Bratislava 17., Miriam Ziegler und Severin Kiefer im Paarlauf Neunte – beachtliche Ergebnisse, aber wer wisse denn davon? In Wien gäbe es 70 Betreuer und 150 Läufer, seine Kritik irritiert angesichts der hohen Zahl. Mehr heißt nicht automatisch besser, mehr Athleten wie Kiefer/Ziegler (Berlin) müssten ins Ausland gehen, dort Kultur und Strukturen nützen – aber in diesem Punkt teilen alle Sportarten in Österreich ein ähnliches Schicksal. Man läuft zumeist hinterher.


The Sound of Music. Die Musik war immer ein Markenzeichen jedes Läufers. Glamour, Starkult, Danzer atmet tief durch. Operetten hätten es ihm angetan, „nicht jeder soll mit dem gleichen Sound laufen. Die Musik soll dich auszeichnen“, sagt er. Sie ist gewiss in Kombination mit den Figuren und Sprüngen das Erfolgsrezept des Eiskunstlaufes, um das Publikum zu erobern, die Jury zu begeistern – und zu gewinnen.

Danzer schwelgt in Erinnerungen. Er hatte einst sogar „zwei Schallplatten aufgenommen“, die landesweit für Begeisterung sorgten. 1968 tauchte also zwischen den Beatles („Lady Madonna“), Tom Jones („Delilah“), Manfred Mann oder Peter Alexander tatsächlich ein Eiskunstläufer in den Charts auf. Mit Klassikern wie „Sag es mir“ oder „Mademoiselle, erlauben Sie?“ landete er Hits, die wochenlang im Spitzenfeld lagen. Das Leben ist Entertainment – und der Erfolg ist oft nur eine Pirouette entfernt.

Ein Sir auf EIS

WM-Gold vor 50 Jahren
Emmerich Danzer, Jahrgang 1944, ist Österreichs Eiskunstlauf-Sir. Er gewann im Februar 1966 erstmals WM-Gold, siegte auch 1967 und 1968. Er war von 1965 bis 1968 Europameister, verlor jedoch bei Olympia 1968 Gold an Wolfgang Schwarz „um zwei Zentimeter“.

Bekannter Star, beliebter Trainer
Er war der Star von Eisrevue, Holiday on Ice und Trainer in Lake Placid, USA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

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